2005 Cheb/ Karlový Vary/ Teplice/ Prag
Im Rahmen eines Seminars zum Thema „Die Sudetendeutsche Frage 1918-1948“ unter der Leitung von Prof. Dr. Dietmar Neutatz fuhr eine Gruppe von 20 Studierenden im Juli für eine Woche in die Tschechische Republik. Die Reise wurde unter anderem durch einen Zuschuß des Verbandes der Freunde der Universität Freiburg im Breisgau e.V. ermöglicht. Die Exkursionsroute führte von Eger (Cheb) entlang der nördlichen Grenzgebiete Böhmens nach Troppau (Opava) in Mährisch-Schlesien und weiter ins Landesinnere nach Brünn (Brno) und Prag (Praha). Die Fahrt durch die ehemals deutsch besiedelten Grenzgebiete gab den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gelegenheit, das im Seminar erarbeitete Wissen mit Erfahrungsberichten direkt Betroffener sowohl tschechischer als auch deutscher Nationalität zu vergleichen und zu ergänzen. Die Begegnung mit Wissenschaftlern vor Ort gewährte einen Einblick in deren Forschungstätigkeit vor allem auf lokaler Ebene und zeigte so auch Möglichkeiten zu weiterer Beschäftigung mit dem Thema auf. Einen Schwerpunkt der Exkursion stellte der Themenkomplex um die Einstellung der heute in diesen Gebieten ansässigen Bevölkerung und die Vergangenheitsbewältigung in der Tschechischen Republik im Allgemeinen dar. Unabhängig vom Fachlichen sollte zudem die Gelegenheit wahrgenommen werden, eine Gegend Tschechiens zu erkunden, die gegenwärtig in Deutschland wenig Beachtung findet.
Die erste Station war Eger (Cheb), wo ein Besuch in der deutsch-tschechischen Begegnungsstätte auf dem Programm stand. Im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Ortsgruppe Eger des „Bundes der Deutschen – Landschaft Egerland“, Herrn Rak, und der Geschäftsführerin der Balthasar-Neumann-Stiftung, Frau Hruba, erfuhren die Studierenden vieles über die Geschichte der Deutschen im Egerland und die persönliche Sicht der beiden Gesprächspartner. Diese strahlten großen Optimismus in Bezug auf die deutsch-tschechische Versöhnung aus, obwohl sie betonten, dass es schwierig sei, die Nachkommen der in Eger verbliebenen Deutschen für ihre Geschichte zu begeistern.
Beim anschließenden Besuch im Gebietsarchiv mit einem zu 80% deutschen Aktenbestand stellte der Archivar Karel Halla eine etwas andere Sicht der Dinge dar: Die Versöhnung sei „von oben“ angeordnet, aber versöhnen könne man sich eigentlich nur persönlich, von Mensch zu Mensch.
Die Route führte weiter nach Karlsbad (Karlový Vary), wo neben der Besichtigung des wunderschönen Kurortes das Karlsbader Programm der Sudetendeutschen Partei im Vordergrund stand. Dieses Programm wurde im April 1938 verabschiedet und enthielt weitgehende Forderungen nach eine Autonomie der Deutschen in der ČSR. Es war in Absprache mit Hitler verfasst worden und verlangte bewusst so viel, dass die tschechoslowakische Regierung es nur ablehnen konnte. Im Vorfeld der Zerschlagung der ČSR durch das Münchner Abkommen kommt ihm große Bedeutung zu.
Wegen des engen Zeitplanes ging es sogleich weiter über die durch Braunkohleabbau geprägte Landschaft um Brüx (Most) nach Teplitz-Schönau (Teplice) und Aussig (Ústí nad Labem). Dort erhielt die Exkursionsgruppe einen Einblick in die Arbeit der „Gesellschaft für die Geschichte der Deutschen in Böhmen“, die sich gegen das Vergessen und für den Dialog zwischen Tschechen und Deutschen einsetzt. Vladimír Kaiser, Stadtarchivar von Aussig, führte einen unvergesslichen, mit zahlreichen Anekdoten gespickten Stadtrundgang durch und lieferte ausführliche Informationen über den Hergang und die schwer zu rekonstruierenden Details des „Massakers von Aussig“, bei dem am 31. Juli 1945 zahlreiche deutsche Zivilisten auf der Elbebrücke erschossen und in den Fluss geworfen worden waren.
Nach einem Besuch im ehemaligen KZ Theresienstadt (Terezín) gelangte die Gruppe nach Reichenberg (Liberec). Im Zusammenhang mit dem Seminarthema ist diese Stadt besonders interessant, weil sie von 1939 bis 1945 Hauptstadt des Reichsgaus Sudetenland war. Bei einem Besuch in der Gebietsbibliothek wurden zahlreiche interessante Dokumente aus den dreißiger Jahren gezeigt: Zeitungen, Wahlpropaganda und Fotografien. Des weiteren fand eine Begegnung mit zwei deutschen Zeitzeugen, von denen der eine in der Tschechoslowakei verblieben, der andere nach Deutschland vertrieben worden war, statt. Die beiden vertraten sehr unterschiedliche Ansichten, was die heutige Situation der Sudetendeutschen betrifft: Während der eine betonte, dass ein Umdenken in Tschechien stattfinde und die Arbeit der deutsch-tschechischen Historikerkommission lobte, entstand beim anderen der Eindruck, dass er nur die Unzulänglichkeiten der Vergangenheitsbewältigung zur Kenntnis nehme, nicht aber die Bemühungen und Erfolge. Allen Anwesenden wurde noch einmal deutlich, dass die Sudetendeutschen nicht als homogene Gruppe betrachtet werden dürfen.
Über die mährischen Städte Troppau (Opava), Olmütz (Olomouc) und Brünn (Brno) ging es weiter in die Hauptstadt Prag. Dort wurde die Abschlussdiskussion mit Dr. Volker Zimmermann – einem der führenden Fachleute für die sudetendeutsche Geschichte – und weiteren deutschen und tschechischen Historikern genutzt, um letzte Fragen anzubringen, Exkursionseindrücke mit dem Seminar zu verbinden und das Thema zu einem vorläufigen Abschluss zu führen.
Die Treffen mit den diversen Sachkundigen wurden während der ganzen Woche ergänzt durch Referate der Studierenden und auch Stadtbesichtigungen und die Beschäftigung mit dem kulinarischen Tschechien kamen nicht zu kurz. Und eines haben auf jeden Fall alle Exkursionsteilnehmer begriffen: Tschechien ist viel mehr als nur die Stadt Prag.
Katrin Graf