"Wissenschaftliche Edition der autobiographischen Aufzeichnungen des Russlanddeutschen Jakob Wall über die Zeit der Deportation und des Lebens in der Sondersiedlung".
Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.
Jelena Wall M.A. |
Die Erinnerung eines Kindes ist sehr selektiv und so kommt es, dass es nur die emotionalsten Momente im Gedächtnis abspeichert. Der Gegenstand dieses Projektes ist eine solche Erinnerung bzw. das Selbstzeugnis eines Russlanddeutschen. Es handelt sich um Jakob Wall, der am 14.6.1928 im Dorf Medemtal an der Wolga geboren wurde. Sein Vater wurde kurz nach der Deportation nach Sibirien (1941) in die Arbeitsarmee eingezogen. Er kam in eine Panzerfabrik nach Čeljabinsk (Ural) und starb dort an Hunger.
Die übrige Familie verblieb in Sibirien. Der Verlust des Familienoberhaupts und der damit schlimmer werdende Hunger trieb sie dazu sich unerlaubt von der Sondersiedlung zu entfernen. Sie zogen mehrmals (illegal) von Ort zu Ort. Die Mutter stirbt bald darauf und die Kinder müssen sich alleine zurechtfinden. Die älteren arbeiten in der Glasfabrik der Siedlung. Jakob Wall bettelt in den umliegenden Dörfern, damit sie den sibirischen Winter überleben. Zwei der drei Schwestern konnten eine Schule besuchen. Die mittlere Schwester starb kurz nach dem Krieg an den Folgewirkungen des Hungers. 1947 wurden im Ort weitere deportierte Deutsche einquartiert, und mit ihnen wurde die Kommandantur (das Regime der Sondersiedlungen) eingeführt. Jakob Wall lernte unter den deportierten Deutschen ein Mädchen kennen. Über seinen in Sibirien verbrachten Lebensabschnitt fertigte Jakob Wall in den
1960er Jahren in Kasachstan Aufzeichnungen an. Er nannte sie "Ein Weg durch Russland. Diese Spuren machten die Deutschen durch Sibirien. Das ist mein Tagebuch von 1942 bis 1960". Es handelt sich aber nicht wirklich um ein Tagebuch, sondern um einen zusammenhängenden, im Nachhinein verfassten, autobiographischen Text. In den achtziger Jahren kam Jakob Wall und seine Frau nach Deutschland. Durch die neuen Umstände, war Jakob Wall davon überzeugt, dass die Enkelkinder die russische Sprache vergessen und verlernen würden. Er beschloss seine Erinnerungen noch einmal zu Papier zu bringen. Er übersetzt nicht die vorherige Fassung, sondern schrieb alles noch einmal von Neuem auf. Die deutschen Buchstaben beherrschte Jakob Wall, jedoch schrieb er wie er sprach.
Die Edition ist interessant, da zwei Fassungen vorliegen. In den beiden kann man nachvollziehen, wie sich jemand eine Sprache aneignet.
Die Unterschiede, die in den Erzählungen auftauchen, spiegeln zwei Ebenen der Erinnerung und der Auseinandersetzung des Lebensweges wieder.
Und die beiden Fassungen besser vergleichen zu können, wurde folgende Darstellung gewählt: Drei Spalten sind einander gegenüber gestellt. Die erste ist die original russische Fassung, sie ist unverändert. Die Zeichensetzung und jegliche Rechtschreib- und Grammatikfehler sind wie beim Autor. Wenn die Rechtschreibung so gravierend falsch ist, dass man das Wort kaum erkennen kann, ist eine Fußnote vorhanden.