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Nationalheld, Volksheld und Antiheld: Aleksandr Suvorov und Emel’jan Pugačev vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, SFB 948, Teilprojekt B6

SFB 948 Helden – Heroisierungen – Heroismen

 

Projektbereich B: Modelle

Im Projektbereich B geht es um Prozesse der Ausbildung, der Veränderung und der gesellschaftlich-konfliktreichen Aneignung oder Ablehnung von bestimmten, tendenziell längerfristig persistenten Modellen des Heroischen. Gegenüber dem Projektbereich A, der stärker die Artikulationsformen des Heroischen selbst als Bestandteile kultureller Sinnsysteme in den Mittelpunkt stellt, geht es hier zwar auch um die Medialität von Heroisierungen und Heroismen, dabei wird aber auf die soziale Phänomenologie von bestimmten Figuren, Figurenkonstellationen oder bestimmter Heldentypen abgezielt, aus denen sich kanonische Muster ableiten lassen, deren Transformationen und Konjunkturen wiederum herauszuarbeiten sind. Thematisiert werden also die besonderen Kennzeichen spezifischer Personalfigurationen mit einem modellhaften Charakter, d. h. mit einem bestimmbaren personalen Rollenmodell als Referenz, die zeit- und raumübergreifend wirkte. Auch hier ergibt sich gemäß den Zielen des Gesamtvorhabens durch die Zusammenstellung der Teilprojekte insgesamt eine longue durée von der Antike bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, doch stehen eher exemplarische Rollenmuster in einem jeweils begrenzteren diachronen Überblick im Zentrum der einzelnen Untersuchungen, die dann im Vergleich Spezifika oder Verwandtschaften klarer heraustreten lassen.


 

Teilprojekt B6

Nationalheld, Volksheld und Antiheld: Aleksandr Suvorov und Emel’jan Pugačev vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert


Leitung: Prof. Dr. Dietmar Neutatz
Postdoc: Dr. Reinhard Nachtigal

Das Teilprojekt untersucht am Beispiel zweier heroischer Personalfigurationen die Konjunkturen von unterschiedlichen Modellen des Heroischen in Russland vom ausgehenden 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert und fragt danach, was sich daraus für das Selbstverständnis der beteiligten Gruppen (Offizierskorps, Kosaken, Bauern, Intellektuelle, Revolutionäre) ableiten lässt.

Der Feldherr Aleksandr Vasil’evič Suvorov (1729–1800) war schon zu Lebzeiten ein Kriegsheld. Er ist bis heute einer der größten russischen Nationalhelden. Er eignete sich bisher für alle politischen Systeme in Russland als offiziell gefeierter Held: von der Zarenzeit über den Stalinismus bis ins heutige Russland. Emel’jan Pugačev (1742–1775), Anführer eines großen Volksaufstandes gegen Katharina II., verkörpert einen anderen Heldentyp: Er war ein Volksheld und gleichzeitig bis 1917 in der offiziell-staatlichen Perspektive eine Unperson, ein Antiheld, der eine Rebellion angezettelt hatte und dafür zum Tode verurteilt wurde. Die Konjunkturen seiner Heroisierung verlaufen daher anders. Trotz staatlicher Zensur erfuhr er eine Heroisierung durch Bauern, Kosaken, aber auch Teile der Intelligenz. Den Konstruktionskontext dafür bildeten idealisierte Traditionen kosakischen Lebens, die Vorstellung der Wiederkehr des gerechten Herrschers (Pugačev beanspruchte der 1761 ermordete Peter III. zu sein und hielt Hof) und die Verteidigung des wahren Glaubens (Pugačev war Altgläubiger). Pugačevs Verehrung ist eng verbunden mit der noch größeren des Stepan Razin, der hundert Jahre zuvor einen Aufstand angeführt hatte. Im offiziellen Geschichtsbild wurde Pugačev erst nach 1917 heroisiert, indem ihn die Kommunisten als Führerfigur des Proletariats vereinnahmten.

Die beiden Figuren Suvorov und Pugačev eignen sich aus mehreren Gründen für einen Vergleich: Sie lebten in derselben Epoche und ihre Lebensläufe kreuzten sich in dramatischer Weise: Beide kämpften im Siebenjährigen Krieg und in den Kriegen gegen die Polen und Türken, Suvorov als Offizier, Pugačev als Kosak. In den Jahren 1773 bis 1774 führte Pugačev einen Aufstand gegen Katharina II. an und wurde von General Suvorov nach seiner Niederlage als Gefangener in einem Käfig nach Simbirsk abtransportiert. Pugačev wurde zum Tode verurteilt, hingerichtet und jede Erinnerung an ihn wurde fortan unterdrückt; Suvorov erwarb sich hingegen im Türkenkrieg 1787–1792, im Kampf gegen die aufständischen Polen unter Tadeusz Kościuszko 1794 und in den Feldzügen gegen Napoleon großen Ruhm und wurde zum Feldmarschall und Generalissimus ernannt. Kurz vor seinem Tod fiel er allerdings in Ungnade, weil er offene Worte auch gegenüber dem Herrscher nicht scheute.

Das Teilprojekt kann zeigen, über welche unterschiedlichen Wege und mit welchen Formen im Zarenreich und in der frühen Sowjetunion Helden in Abhängigkeit der sich wandelnden politischen Konstellation kanonisiert und als Modelle figuriert wurden und welche soziale und kulturelle Reichweite das Heroische entfaltete. Durch die Auswertung von zeitgenössischen und späteren historischen, literarischen und künstlerischen Darstellungen sowie Archivquellen sollen die Konjunkturen und Brüche der Heroisierungsprozesse in beiden Fällen zusammen mit den darauf aufbauenden Heroismen analysiert und in Beziehung zu den sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Russland gesetzt werden. Methodisch wird dabei auf lebensweltliche Bedingungen, Kommunikation, Medialisierung und Praktiken der Heroisierung und des Heroismus fokussiert.




 

Neuerscheinungen
  • Nordost-Archiv 31 (2022). Das Erbe des Imperiums. Multinationale und regionale Aspekte der Ukrainischen Revolution 1917–1921 / The Legacy of Empire. Multinational and Regional Aspects of the Ukrainian Revolution 1917–1921, Nordost-Institut (IKGN) (Hrsg.); Hausmann, Guido; Neutatz, Dietmar, Nordost-Archiv, Band 31, erschienen bei Franz Steiner Verlag, 2022.
  • Klare, Kai-Achim: Imperium ante portas. Die deutsche Expansion in Mittel- und Osteuropa zwischen Weltpolitik und Lebensraum (1914–1918). Wiesbaden 2020. 
  • Laura Ritter: Schreiben für die Weisse Sache. General Aleksej von Lampe als Chronist der russischen Emigration, 1920–1965. Köln 2019.
  • Martin Faber: Sarmatismus. Die politische Ideologie des polnischen Adels im 16. und 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2018.
  • Michel Abeßer: Den Jazz sowjetisch machen. Kulturelle Leitbilder, Musikmarkt und Distinktion zwischen 1953 und 1970. Köln 2018.
  • Ingrid Bertleff, Eckhard John, Natalia Svetozarova: Russlanddeutsche Lieder. Geschichte - Sammlung - Lebenswelten, 2 Bände, Essen 2018. (Ausgezeichnet mit dem Russlanddeutschen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg 2018)
  • Alfred Eisfeld, Guido Hausmann, Dietmar Neutatz (Hrsg.): Hungersnöte in Russland und in der Sowjetunion 1891–1947. Regionale, ethnische und konfessionelle Aspekte. Essen 2017 (Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa, Band 48).
  • Peter Kaiser: Das Schachbrett der Macht. Die Handlungsspielräume eines sowjetischen Funktionärs unter Stalin am Beispiel des Generalsekretärs des Komsomol Aleksandr Kosarev (1929-1938). Stuttgart 2017.
  • Reinhard Nachtigal: Verkehrswege in Kaukasien. Ein Integrationsproblem des Zarenreiches 1780–1870. Wiesbaden 2016.
  • Thomas Bohn, Rayk Einax, Michel Abeßer (Hrsg.): De-Stalinisation Reconsidered. Persistence and Change in the Soviet Union. Frankfurt am Main/New York 2014.

 

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