Russische Emigranten in Berlin
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Generalmajor Aleksej Aleksandrovič von Lampe und die russische Emigrantenkolonie in Berlin, 1923-1945
(Bis 31. Mai 2016 gefördert durch das DFG-Graduiertenkolleg 1288 „Freunde, Gönner, Getreue“; ab 1. Juni 2016 gefördert durch die DFG)
Der russische Emigrant Alexej von Lampe stellt eine außergewöhnliche Figur innerhalb der Emigrantenkolonie in Berlin dar. Als Vertreter des Oberbefehlshabers der Weißen Truppen, General Vrangel‘, nahm der Generalmajor eine zentrale Position innerhalb des so genannten Russischen Berlins ein. Dabei hinterließ er mit seinem detaillierten Tagebuch, das er von 1919 bis 1965 schrieb, eine einzigartige Chronik des russischen Lebens in Berlin. Im Zentrum des Projekts steht daher die Biographie Aleksej von Lampes, wobei sein Tagebuch als Hauptquelle dient. Zeitlich konzentriert sich das Projekt auf die Jahre 1923 bis 1945, in denen von Lampe sich in Berlin aufhielt. Die Nachkriegszeit wird in einem Ausblick behandelt.
Von Lampe wurde zu einer zentralen Figur des Russischen Berlins, da er sich als überzeugter Monarchist im Bürgerkrieg gegen die Bolschewiki positioniert hatte und nach der Niederlage der Weißen 1920 aus Russland emigrierte. In Berlin wurde er 1924 mit der Vertretung der von General Vrangel‘ gegründeten Allrussischen Militärunion (Rossijskij Obšče-Voinskij Sojuz; ROVS) betraut, die die Weiße Armee in der Emigration organisieren sollte. Von Lampe blieb auch nach dem Niedergang des Russischen Berlins in der Stadt. Bemerkenswert ist seine Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten gegen den gemeinsamen Feind, die Bolschewiki. Im Zweiten Weltkrieg versuchte er sogar eine Emigrantendivision zu organisieren, die gegen die Rote Armee kämpfen sollte. Nach dem Krieg zog von Lampe erst nach München und dann nach Paris, wo er 1967 verstarb.
Das Forschungsprojekt verfolgt vier Ziele, die in der Forschung bisher unbeachtet blieben: Erstens wird die autobiographische Praxis von Lampes anhand seines Tagebuchs untersucht. Dieser Komplex wird sich mit dem Tagebuch als Quelle, von Lampes Intentionen und dem Akt des Tagebuchschreibens beschäftigen. Zweitens werden über einen biographischen Zugriff von Lampes Erfahrungen während der Revolution, der Emigration und des Zweiten Weltkriegs analysiert. Besonderes Augenmerk gilt dabei seinen politischen Überzeugungen und seiner Selbstverortung in den sich zwischen 1920 und 1950 dramatisch verändernden Verhältnissen in Deutschland. Drittens wird ausgehend von seinen interpersonalen Beziehungen die russische Kolonie als Netzwerk untersucht, um Erkenntnisse über ihre inneren Strukturen zu gewinnen. Viertens wird von Lampes Einschätzung des Lebens innerhalb der Emigrantenkolonie und der Entwicklungen in Deutschland herausgearbeitet, um aus einer Innenperspektive heraus Schlüsse auf individuelle und kollektive Denkmuster und Werthaltungen sowie Handlungsspielräume der Emigranten zu ziehen.
Um dem Erkenntnisinteresse trotz der Materialdichte gerecht zu werden, fokussiert das Projekt einige ausgewählte Schlüsseljahre: 1923 befand sich das Russische Berlin auf seinem zahlenmäßigen Höhepunkt. 1928 endete von Lampes Finanzierung durch die ROVS, was seine Lebensumstände massiv veränderte. 1933 wurde er von der Gestapo verhaftet und seine Tochter starb. Von 1939-1945 positionierte von Lampe sich angesichts der wechselhaften deutschen Politik stets neu. 1957 wurde von Lampe Vorsitzender der ROVS in Paris.
Das Dissertationsprojekt wird bis zum 31. Mai 2015 durch das DFG-Graduiertenkolleg 1288 „Freunde, Gönner, Getreue“ gefördert. Ab dem 1. Juni 2016 wird es durch die DFG gefördert.